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ARTIST STATEMENT 

Frankfurt versinkt in Feuer und Tränengas

 

Die Entstehung dieser Installation hat fast 8 Jahre benötigt und ist tief verwurzelt in dem Chaos unserer Zeit.

Der Künstler berichtet persönlich und ungeschönt, wie dieses Kunstwerk entstanden ist. Von all den Fehlversuchen und Sackgassen.

Normalerweise gibt es nicht die Möglichkeit in den Kopf eines Künstlers zu sehen. Hiermit gibt Sven Sauer einen unzensierten Einblick in die Entstehung der Werkreihe TULIP MANIA.

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Frankfurt brennt, Quelle: süddeutsche Zeitung, © dpa

Am 18. März 2015 brannten in Frankfurt Polizeiautos. Die Proteste gegen die Eröffnung der EZB-Zentrale gerieten außer Kontrolle. Durch Zufall war ich an diesem Tag in Frankfurt. Es war noch nicht einmal hell, da brannten die ersten Barrikaden. Die Polizei reagierte mit Pfefferspray-Granaten. U-bahnen und S-Bahnen fuhren nicht mehr. Die Innenstadt war ausgestorben. Dunkle Rauchsäulen standen über der Stadt und überall Helikoptergeräusche in der Luft. An diesem Tag sollten die Hälfte aller deutschen Wasserwerfer in Frankfurt zusammen gezogen werden.

Ich interessiere mich für Kunst seit ich denken kann. Das Thema Geld hatte in meiner Gedankenwelt keine Bedeutung. Das heißt, ich habe kein Verhältnis zu Geld als Besitz. An diesem Tag änderte sich das. Während in den 90er Jahren die „Beschreibung“ von Geld mit einem ganzen Spektrum von Gefühlen wie „Geiz und Freude“ verbunden war, so änderte sich dies in den zweitausender Jahren drastisch.

Mit der Finanzkrise dominierten nun abstraktere Gefühle: Sie waren am ehesten noch mit Unsicherheit, innerem Druck und Furcht zu beschreiben. 2008 kollabierte der Immobilienmarkt. Die Kettenreaktion, die dadurch ausgelöst wurde, bestimmten auch noch 2015 unser Leben. Die Blockupy-Bewegung entstand. Griechenland wurde von der EZB aus heutiger Sicht in eine zweifelhafte Lage versetzt. 

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Meine Großmutter erzählte uns von dem Hunger, den sie während des langen Fluchtmarsches aus Schlesien Ende des zweiten Weltkrieges fühlte. Sie beschrieb, dass nicht etwa die Schmerzen durch Hunger das prägende Symptom waren, sondern, dass sich all´ ihre Gedanken am Tag ausschließlich um Essen drehten. Der Mangel führte dazu, dass sie über nichts anderes mehr nachdenken konnte.

In meiner Generation scheint „Geld“ diese Rolle des Hungers übernommen zu haben. Angst vor Statusverlust und der Glaube an das ungebremste Wachstum sind allgegenwärtig.

In Frankfurt entlud sich dieses Gefühl in zwei Lagern: 

Eines, das mit Aggression antwortete... und ein anderes Lager, das reglos verstummte.

Es ist schwer zu beschreiben, was der Auslöser in Frankfurt war.

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Die Polizei zeigte sich schockiert vom Ausmaß der Gewalt. Die Politik legte dauerhafte Bannmeilen um die Europäische Zentralbank und verschanzte sich, bis heute, hinter Ordnungskräften und riesigen Zäunen entlang des Mains. Als die Presse nachfragte, warum die Eskalation entstand, verstummten Regierende und Organisatoren der ursprünglich friedlichen Demonstrationen.

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Blockupy-Proteste, Quelle: FNP, © Scheh

Es war ein schwer greifbares Gefühl, was wir an diesem Morgen in Frankfurt wahrgenommen haben. Bis heute fällt es mir schwer, dieses in Worten zu beschreiben. Dies sind die Momente, wenn in meinem Kopf die ersten Ideen entstehen. Ich fange fast immer mit einer Kunst-Serie an, weil ich etwas verstehen möchte.

Vielleicht stimmt es, dass Kunst an der Stelle beginnt, wenn alle anderen Ausdrucksmittel versagen? Allerdings funktioniert diese Taktik nicht immer.

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In den kommenden 8 Monaten arbeitete ich mich in die Welt der Finanzwirtschaft ein. Ich redete mit Mathematikern. Ich lernte, wie sich Spekulationsblasen seit Jahrhunderten nach dem immer gleichen Schema aufbauen. Immer und immer wieder. 

 

2016 ersten die ersten Bilder. Sie sind zu diesem Zeitpunkt dominiert von verbrannten Orten, geflutet von schwarz gekleideten Polizeikolonnen. Die Bilder basieren auf Originalschauplätzen von Stellvertreter-Kriegen, montiert aus Medien-Bildern, die im Fernsehen veröffentlicht wurden. Zerlegte Zeitzeugen, die ich immer wieder übermale und neu miteinander kombiniere - der Versuch, das globale Gefühl unserer Zeit zu verstehen. Wie hängen all diese Ereignisse miteinander zusammen?

 

Dann entdeckte ich ein Ereignis in der Niederlande des 16. Jahrhunderts, dass unter dem Begriff “Tulpenfieber“ in die Geschichte einging. Die Tulpenkrise wird als die erste relativ gut dokumentierte Spekulationsblase der Wirtschaftsgeschichte angesehen. Mir wurde gesagt, dass dieses Thema Teil jedes Betriebswirtschaftlichen Studiums ist. Die Tulpenkrise wird auch metaphorisch für riskante Finanzentwicklungen gebraucht. Das Tragische an der Tulpenkrise war, dass nicht reiche Händler oder der Hochadel ihr Geld verloren, sondern normale Bürger, die von dem Rausch, schnell reich zu werden, ihren ganzen Besitz einsetzten. Meine Bilderserie entwickelte sich weiter. 

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Erste Entwürfe TULIP MANIA

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Erste Entwürfe TULIP MANIA

2017 nahm ich Kontakt zu 3 Drohnenpiloten auf:

Anders Andersson, Curtis Hilbun und Hans Elbers.

Mit Ihrer Hilfe entstanden Aufnahmen von Tulpen-Felder.

Wir blicken von weit oben auf die Welt herunter. Die 3/4 Perspektive erschafft eine seltsame Wirkung: unverzerrt und unemotional, einen Überblick verschaffend.

Der erste Blick wirkt zunächst so gar nicht unheimlich, sondern ästhetisch überaus ansprechend. Farbige geometrische Flächen schaffen bunte Muster. Doch bei näherer Betrachtung werden Details sichtbar: die farbenfrohe Landschaft ist immer wieder in weiße Asche getaucht: Überreste von Schauplätzen, die wir zu kennen glauben.

Beim Betrachten bin ich mir selbst nie ganz sicher, was nun eigentlich überwiegt: Die Kritik an der Finanzwirtschaft oder eine schiere Bewunderung ihrer Schönheit. Abscheu und Lust liegen oft eng zusammen.

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Zur gleichen Zeit entstand die Idee, die digitalen Bilder in einem realen Gewächshaus auszustellen. Nur das diesmal nicht die Tulpenpflanzen, sondern die wertvollsten Güter des Kapitalismuß mit dem wärmenden Licht bestrahlt wurden: die Konsumenten selbst. 

Der Soundkünstler Bony Stoev entwickelte eine Komposition basierend auf den Geldbewegungen seines Kontos, die in einen Soundteppich übersetzt und mit den Klängen von Geldzählmaschinen verbunden wurde.

In dieser Zeit entstanden über 20 großformatige Arbeiten. 

Doch nach 3 Jahren Arbeit und unzähligen Gesprächen mit Freunden und Galeristen, die mich getränkten, die Serie endlich zu veröffentlichen, brach ich die Entwicklung der Kunstserie ab. Selbst nach so langer Zeit hatte ich es nicht geschafft, das Gefühl, das ich auf den Frankfurter Straßen wahr nahm, in den Bildern zu erzeugen. 

Es sollte fast 3 Jahre dauern, bis ich auf dieses Thema wieder aufmerksam wurde. 

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Anfang 2020 brach der Weltmarkt erneut ein. Diesmal aus den bekannten Gründen einer Pandemie. Als Nebenprodukt der Krisenbekämpfungspolitik entstand eine Flutung der Finanzmärkte mit frischem Geld der Zentralbanken.

Dann tauchten Zeichen auf, an die ich mich aus meinen Nachforschungen 2015 erinnerte. Das Handelsvolumen wurde schneller. Alternative Investitionsmärkte entstanden in kürzester Zeit.

Mit dem Siegeszug des Cryptomarktes tauchten die NFTs auf. Der Grund war simpel: Mit dem Anstieg von Bitcoin und Ether waren sehr viele Menschen in sehr kurzer Zeit reich geworden. Diese suchten nun nach anderen Anlageklassen, die sie von dem alten Finanzmarkt emanzipierte. NFTs wurden zu diesem Zeitpunkt eine ideologische Gegenbewegung des elitären Kunstmarkt.

Doch ebenso wie in der Tulpenkrise im Jahr 1604 sind nicht konstitutionelle Bankinstitute involviert, sondern Tausende von Kleinanlegern. Zu diesem Zeitpunkt scheuten sich noch alle das Wort „Spekulationsblase“ in den Mund zu nehmen. Zu groß war die Euphorie, dass trotz weltweitem Lockdown, die Wirtschaft nicht zusammenbrach. Ganz im Gegenteil: Geld schien billig zu sein. 

Börsen und Cryptoplattformen explodieren. Die Pandemie schien uns nichts an zu haben.

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Ausschnitt Entwicklung Zerstörungsphase

Mitte 2020 veränderte sich die Tonalität, in der über NFTs gesprochen wurde. Wie alle Menschen, die Kunst lieben, beobachtet ich leicht verärgert, dass sich der Fokus vom Kunstwerk selbst entfernt. Im Zentrum stand nun nur noch die Gewinnmaximierung, nicht die Kunst.

Menschen mischten sich unter die Teckis und Künstler:innen, die nur am schnellen Handel interessiert waren. Als diese Personen auftauchten, entstand bei mir der Drang, in NFTs einen Mechanismus einzubauen, der genau dieses Handeln entlarven würde - ähnlich einem Schutzschild, welches ich über die Kunstwerke legen könnte. Dies war das fehlende Puzzleteil für die „Tulip mania“-Serie: ein automatisierter Prozess, der den Käufer dazu nötigt, über sein eigenes Handeln zu reflektieren.

 

Begeistert präsentierte ich die Idee einigen Auktionshäusern. 

Die Gespräche, die ich hier führte, war einer der eigenartigsten meines Lebens. Diese reagierten regelrecht verärgert auf meinen Ansatz. Der Hintergrund war, dass die Auktionshäuser an jedem Wiederverkauf eines NFTs mit-verdienten. In Ihren Augen untergrub ich ihr Geschäftsmodell. 

Mir wurde signalisiert, dass sie nur positive und unkritische Arbeiten verkaufen würden. Ich stoppte die Unterhaltung mit allen Auktionshäusern.

 

Zu diesem Zeitpunkt begann die Phase der Euphorie auf den Märkten.

Das Handelsblatt schrieb: „Brachial haben zertifizierte und handelbar gemachte digitale Objekte  die Tür zu einer neuen Welt auf dem Kunstmarkt aufgestoßen.“

Mit 11,1 Milliarden Dollar Umsatz allein für das Jahr 2021. Das ist fast so viel wie der gesamte globale Kunst-Onlinehandel.

Spekulationsnetzwerke kauften sich die NFTs gegenseitig ab, um die Marktwerte zu erhöhen.  „Everydays – The First 5000 Days“ von Mike Winkelmann wurde durch das  Auktionshaus Christie’s für 58 Millionen Euro versteigert. Alle glauben, der Boom wird ewig fortgesetzt werden, und die Preise könnten nur steigen. 

Eine zentrale Rolle spielt auch die soziale Komponente: Wenn alle um einen herum an dieser Dynamik Geld verdienen, braucht es sehr viel kaltes Blut, um sich von der Euphorie nicht anstecken zu lassen. 

 

Im Februar 2022 brachen die Kurse ein. 

NFTs, wie die "Bored Apes" verloren schlagartig 90% des Einkaufswertes. Der Grund des Markteinbruches lag nicht an den NFTs selbst. Die Korrektur ist komplex und tief eingebunden in die weltweiten Ereignisse, die sich mit der Pandemie, einem Krieg und einer Rezession vermischen. 

Zu dem Zeitpunkt, an dem ich diesen Text schreibe, scheinen wir auf dem Weg in den nächsten Crypto-Winter zu sein.

Die Tulpen-Serie von mir hat all diese Ereignisse der letzten 8 Jahre benötigt, um geboren zu werden. Ich habe gelernt, dass manche Kunstserien teilweise Jahre benötigen, bis sie die Tiefe erlangen, die für mich selbst wichtig ist.

Ein Trost war eine Dokumentation von Christo und Jean Claude, die ich im Lockdown gesehen habe: Sie zeigten, daß die Arbeit an den roten Toren des Central Parks über 15 Jahre benötigt haben.

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